(Professor Dr. Sir Ernst Gombrich)

Die Stadt Zürich verlieh Max Hunziker am 25. August 1975 die «Auszeichnung für kulturelle Verdienste». Professor Dr. Sir Ernst Gombrich hielt bei dieser Gelegenheit die folgende Laudatio.

Als ich die ehrenvolle Einladung erhielt, anlässlich der Übergabe der Zürcher «Auszeichnung für kulturelle Verdienste» an meinen Freund Max Hunziker die Laudatio zu halten, kam mir als Historiker ein Ereignis in den Sinn, das sich vor mehr als sechshundert Jahren abspielte: Damals, im Jahre 1334, kamen die Stadtväter einer anderen Kulturstadt zusammen, um ein Dokument zum Lobe eines ihrer Mitbürger auszustellen, der auch ein Maler war. Die Stadt war Florenz, und der Mitbürger war Giotto di Bondone aus dem nahen Mugello. Freilich, der Beschluss war nicht ganz so uneigennützig, wie es der ihre war. Es ging den Florentinern darum, den grossen Meister an ihre Stadt zu binden. Um die Worte der Urkunde zu zitieren: «Er soll in seiner Vaterstadt aufgenommen werden, als ein grosser Meister, und dort hoch geschätzt werden» (accipiendus sit in patria sua velut magnus magister, et carus reputandus in civitate predicta), «damit dies der Stadt zu nicht geringen Ehren gereiche» (et decus non modicum resultobit in civitate premissa).

Ich dachte an diese alte Urkunde, nicht nur, weil es schön und recht ist, dass eine Stadt ihre Meister ehrt, sondern auch darum, weil das Leben und die Kunst Max Hunzikers über die Jahrhunderte hinweg mit dem Leben und der Kunst von Florenz fast ebenso verbunden sind wie mit seiner Heimatstadt Zürich. Goethe nannte den Tag, an dem er in Rom eintraf, seinen zweiten Geburtstag. Ich glaube, für Max Hunziker bedeutet seine Ankunft in Florenz als blutjunger Absolvent des Lehrerseminars fast ebenso viel. Hier, in der Stadt Giottos, erlebte er, was man vielleicht seine Bekehrung nennen könnte, die Bekehrung zu einer Kunstauffassung, die keine Kompromisse duldet. Damals, in den frühen zwanziger Jahren, war der junge Max Hunziker in die Modeströmung der sogenannten abstrakten Kunst geraten. Es reizte ihn, wie es viele junge Leute reizte, mit den neuen Mitteln einer reinen Malerei zu experimentieren, und er besitzt auch noch wenigstens einen dieser Ver­suche einer Kandinsky-artigen Farbenkomposition. Er hat mir erzählt, dass unter dem Eindruck der mächtigen Kunstdenkmäler von Florenz diese Dinge in einem ganz unerwarteten Sinne gegenstandslos wurden.

Vielleicht darf ich hier an eine ähnliche Krise dieser Art erinnern, die einem anderen jungen Zürcher widerfahren ist, keinem ganz greifbaren Zürcher vielleicht, aber doch dem geistigen Kind eines sehr wirklichen Zürchers, ich meine natürlich Gottfried Kellers Grünen Heinrich. Es war Max Hunziker, der mich auf diese Episode hinwies, die in der Sicht des zwanzigsten Jahrhunderts geradezu unheimlich wirkt, obwohl das Kapitel harmlos genug «Der Grillenfang» heisst. In Grübeleien be­fangen, hatte der junge Maler an einer kaum begonnenen Landschaftszeichnung zu arbeiten versucht, während er gedankenlos strichelte, «wie wenn man die Feder pro­biert». «An diese Kritzelei setzte sich nach und nach ein unendliches Gewebe von Federstrichen (…), bis das Unwesen wie ein ungeheures graues Spinnennetz den gröss­ten Teil der Fläche bedeckte. Betrachtete man jedoch das Wirrsal genauer, so ent­deckte man den löblichsten Zusammenhang und Fleiss darin, indem es in einem fortgesetzten Zuge von Federstrichen und Krümmungen, welche vielleicht Tau­sende von Ellen ausmachten, ein Labyrinth bildete, das vom Anfangspunkte bis zum Ende zu verfolgen war. Zuweilen zeigte sich eine neue Manier, gewissermassen eine neue Epoche der Arbeit; neue Muster und Motive, oft zart und anmutig, tauchten auf. (…) Nur hier und da zeigten sich kleinere oder grössere Stockungen, (…) und die sorgsame Art, wie die Feder sich aus der Verlegenheit zu ziehen ge­sucht, bewies, wie das träumende Bewusstsein in dem Netze gefangen war».

Sie erinnern sich vielleicht an die ironischen Komplimente, mit denen ein unerwar­teter Besucher dem Treiben ein Ende setzt: «Du hast, grüner Heinrich, mit diesem bedeutenden Werke eine neue Phase angetreten und begonnen, ein Problem zu lö­sen, welches von grösstem Einflüsse auf die deutsche Kunstentwicklung sein kann. Es war in der Tat längst nicht mehr auszuhalten, immer von der freien und für sich bestehenden Welt des Schönen, welche durch keine Realität getrübt werden dürfe, sprechen und räsonieren zu hören, während man mit der gröbsten Inkonse­quenz doch immer Menschen, Tiere, Himmel, Sterne, Wald, Feld und Flur und lauter solche trivial wirklichen Dinge zum Ausdrucke gebrauchte. (…) Du hast dich kurz entschlossen und alles Gegenständliche, schnöd Inhaltliche hinausgeworfen! Diese fleissigen Schraffierungen sind Schraffierungen an sich, (…) in der reizendsten Abstraktion!» Nur eins hat der Besucher auszusetzen: «In diesem Versuche zeigt sich noch immer ein gewisses Können, ein Unerfahrener, Nichtkünstler hätte diese Gruselei nicht zustande gebracht. Das Können aber ist von zu leibhafter Schwere und verursacht tausend Trübungen und Ungleichheiten zwischen den Wollenden.» Mit den Worten «mach dich heraus aus dem verfluchten Garne» stösst schliesslich der Sprecher die Faust durch das Papier und ernüchtert reicht ihm der grüne Heinrich dankbar die Hand. War dies doch nicht die erste künstlerische Versuchung, die er zu überwinden hatte. Geheilt von einem früheren Anfall billiger Effekt­hascherei erzählt er: «Ich lernte die aufrichtige Arbeit und Mühe wieder kennen und indem darüber eine Arbeit entstand, die mich in ihrer anspruchslosen Durchgeführtheit selbst unendlich mehr befriedigte, als die marktschreierischen Produkte der jüngsten Zeit, erwarb ich mir mit saurer Mühe den Sinn des Schlichten, aber Wahren.»

Kann eine Laudatio mit einem höheren Lob beginnen als mit der Erinnerung an dieses Bekenntnis des echten Künstlertums zur Arbeit und Mühe, zum Sinn des Schlichten, aber Wahren?

Max Hunziker gehört in der Tat zu jenen, die sich gern Meister nennen lassen. In den siebenundzwanzig Jahren, die wir uns nun kennen, habe ich ihn nie von seiner Kunst sprechen hören, immer nur von einer Arbeit, oder seinen Arbeiten. Was er ablehnt, ist gerade das Marktschreierische; was er anerkennt, ist der Sinn des Schlichten, aber Wahren, von dem Gottfried Keller spricht.

Er hat es nicht leicht gehabt, weil er es sich nie leicht gemacht hat. Denn er war immer ein Suchender. Nach fast fünf Jahren der Lehrlingszeit in der ehrwürdigen Werkstatt der grossen Florentiner ging der Fünfundzwanzigjährige nun wieder auf die Wanderschaft, und zwar nach Frankreich. Es war die Begegnung mit dem Selbstbildnis des grossen Corot in den Uffizien, die in ihm die Wanderlust wachrief, aber in Frankreich verschrieb er sich dann einem noch grösseren und sozusagen unerbittlicheren Lehr-herren   ̶  er entdeckte das Werk des Cezanne. Jahre vorher hatte Rainer Maria Rilke von seiner Begegnung mit diesem Werk in einem Brief geschrieben: «Daran, wieviel Cezanne mir jetzt zu tun gibt, merk’ ich, wie sehr ich anders geworden bin. Ich bin auf dem Weg, ein Arbeiter zu werden, auf einem weiten Wege vielleicht, und wahrscheinlich erst bei dem ersten Meilenstein…» Ich glaube, Max Hunziker hätte vielleicht ähnlich gesprochen. Und doch kam auch da der Augenblick, in dem er sich vor der Entscheidung sah, dem bewunderten Mei­ster ganz zu verfallen, oder sich frei zu machen. Er entschied sich, Abschied zu nehmen von der geliebten Landschaft der Provence, der Landschaft Cezannes, in der er weitere vier Jahre verbracht hatte, und ging nach Paris, wo er in seinem vierten Lebensjahrzehnt lange mitten im Pariser Kunstleben stand, ausser, wenn er in der Einsamkeit eines Walliser Hochdorfes im Angesicht der Berge Ruhe und Sammlung suchte und fand.

Wer das Glück gehabt hat, Max Hunziker von diesen Wanderjahren erzählen zu hören, weiss, wie lebendig das alles für ihn geblieben ist. So, wie er auch heute noch ein Alpendorf im Wallis vor unseren Augen entstehen lassen kann, als sässe er vor dem Motiv, so kann er auch sprachlich die Gestalten und Begegnungen seiner Lehr­zeit mit unerhörter Unmittelbarkeit vor uns hinstellen. Dabei kann man nur stau­nen, wie sehr er sich auch die Sprache und Lebensformen seiner Wahlheimaten zu eigen gemacht haben muss. Spricht er doch italienisch und französisch so idioma­tisch wie seine Muttersprache. Ist es notwendig zu sagen, dass dieser durch und durch europäische Meister einen ebenso weiten künstlerischen Horizont hat und sich mit den echten Leistungen seiner Zeitgenossen intensiv auseinandergesetzt hat? Nur galt für ihn zeitlebens das Goethewort, das heute vielleicht noch zeitgemässer ist als eh und je:

Ursprünglich eignen Sinn

Lass dir nicht rauben!

Woran die Menge glaubt,

Ist leicht zu glauben.

Natürlich, mit Verstand

Sei du beflissen;

Was der Gescheite weiss

Ist schwer wissen.

Max Hunziker, ich darf es wohl hier sagen, ist unheimlich gescheit. Vielleicht ist es darum auch unheimlich schwer, das, was er weiss, zu wissen.

Der Künstler Max Hunziker, den wir kennen und heute ehren, kam hier in Zürich zur vollen Entfaltung, nachdem der Ausbruch des zweiten Weltkrieges den Achtunddreissigjährigen veranlasste, aus Frankreich in seine Heimat zurückzukehren. Aus der heutigen Sicht wirkt es wie ein glückliches Vorzeichen, dass der Arbeit suchende Neuankömmling durch die Vermittlung Peter Meyers den Auftrag erhielt, die Standesscheibe des Kantons Zürich zu malen. Er hatte sich nie in diesem Medium versucht, und doch eröffnete ihm und uns dieser Auftrag und die darauf  folgende Zusammenarbeit mit dem Glastechniker Karl Ganz einen neuen Abschnitt in seiner künstlerischen Laufbahn. Das technisch Handwerkliche hat ihn immer gefesselt, und auch als Graphiker und Buchkünstler ging es und geht es ihm immer darum, das richtige Mittel zum Zweck zu finden, um in geduldiger Zusammenarbeit mit verstehenden Mitarbeitern gediegene Arbeit zu leisten.

Max Hunziker wäre gewiss der ideale Meister einer mittelalterlichen Künstlerwerkstatt gewesen, einer führenden Werkstatt, in der alte Verfahren vervollkommnet und neue erprobt worden wären. Er liebt das herkömmliche Mittel der Lithographie, die Arbeit am Stein, aber er versucht dabei, stets neue Wirkungen zu erzielen und die präzise Tonskala, den bestimmten Farbenakkord, der ihm vorschwebt, mit Hilfe eines geschulten Druckers herauszuholen. Gleichzeitig hat er für seinen «Simplicissimus» ein neues Verfahren der Handätzung entwickelt, das grosse volkstümliche Auflagen ermöglicht, und hatte schliesslich den Mut, das farbige Glas durch ein anderes Material zu ersetzen, das seinen künstlerischen Absichten noch besser entsprach. Drei Jahre nach seinem siebzigsten Geburtstag hat er sich nun auch dem Modellieren zugewandt und erstaunt seine Freunde und Bewunderer durch seine Meisterschaft auf diesem neuen Betätigungsfeld eines unermüdlichen schöpferischen Fleisses.

Es mag vielleicht so scheinen, als hätte ich mich Hunzikers Schaffen von aussen her zu nähern versucht. Aber in der echten Kunst gibt es kein Aussen und Innen. Das Sichtbare wird zum Gehalt, und der Gehalt wird sichtbar. Nichts veranschaulicht das Wunder dieser Wandlung eindrücklicher als Max Hunzikers Buchkunst. Es ist oft bemerkt worden, dass Hunziker Bücher nicht im eigentlichen Sinne illustriert. Es geht ihm darum, mit den reichen Mitteln seiner Kunst ihren Gehalt sichtbar zu machen. Er giesst ihn um und kann ihn doch bewahren. Ich glaube mich nicht zu irren, dass er sich gerne Texte aussucht, die Trost bieten, ohne das Leid zu verleugnen. Die furchtbare Welt, durch die sich Simplicius Simplicissimus durchschlagen muss, und in der er trotz allem nicht verzweifelt, ersteht in schlichten und geheimnisvollen Bildern von Dingen und Menschen: ein Hufeisen, ein Zopf, eine Schleuder, sogar ein Abtritt, ein Mann, der sich die Nase zuhält, ein Mund, der in ein Ohr schreit, und immer wieder das menschliche Antlitz in Sorge, in Duldung und in Mitleiden. Oder denken Sie an das Umschlagbild zu Gides «Heimkehr des verlorenen Sohnes»  ̶  der sinnende Kopf des jungen Mannes, der sich in einem Handspiegel spiegelt, an die kühne Mystik des cherubinischen Wandersmannes, die in eine ebenso kühne Wunderwelt von Bildern übersetzt ist, in der keine irdischen Massstäbe gelten, an die väterlichen Worte des Matthias Claudius, die im Bild von Vater und Sohn Gestalt gewinnen, an Lessings versöhnliche Ringparabel und an den erschütternden Brief des Lord Chandos von Hugo von Hofmannsthal, dessen Bilder damit enden, dass der unvergesslich ausdrucksvolle Kopf nun in den Briefumschlag zu liegen kommt. Vor allem aber denken wir an die biblischen Texte: den Psalter Davids, das Buch Ruth und das Buch Tobias. So wie sich in diesen Texten menschliches Leid und göttlicher Trost die Waage halten, so führen uns auch Max Hunzikers Bilder den seelischen Gehalt vor Augen: sein David, der die Harfe schlägt, hat viel gelitten und auch wohl gesündigt, wie die Heilige Schrift berichtet, aber seine Mahnungen und sein Trost in den Psalmen werden zum bewegenden Sinnbild, etwa eines Kindes in der Wiege oder eines geöffneten Apfels, die reife Frucht, für die wir Dank sagen sollen. Vielleicht ist keine Aufgabe Max Hunziker mehr gelegen als das Buch Ruth; die tröstliche Geschichte der jungen Frau ist wieder ganz ins allgemein Menschliche übertragen, während in den Bildern zum Tobias der Anteil des Himmels sichtbar wird.

Alle Schöpfungen Max Hunzikers sind Gefährten dieser überkommenen Gestalten; es sind Wesen, die tief leiden können, aber auch Trost zu finden wissen: Trost im Wunder der Schönheit, im Wunder der Liebe, im Vertrauen und im Glauben. Hunziker hat wie keiner die stumme Sprache des Blickes und der Gebärde gemeistert. Seine Geschöpfe blicken oft aus weit geöffneten, runden Augen staunend und fragend in das Geheimnis der Welt. Manchmal ist es ein Hirte in der Sternennacht, manchmal ein abgearbeiteter Greis, oft auch ein junges Mädchen oder eine Frau von rührender Unschuld und Schönheit, rührend, weil wir wissen, wie gerade die Schönheit den Gefahren des Daseins ausgesetzt ist. Wir lernen empfinden, wie sehr der Mensch den Mitmenschen sucht und braucht. So halten denn diese Gestalten oft schweigende Zwiesprache miteinander, und wir sind mit ihnen dankbar für die beruhigende Wirkung der leisen Geste einer hingestreckten Hand oder auch nur einer teilnehmenden Hinwendung. Er zeigt uns Vater und Sohn, Lehrer und Schülerin, Mann und Frau im engen Zusammensein, geborgen trotz all der inneren und äusseren Stürme, die drohen; er zeigt uns junge Instrumentalisten in einer Pause, ergriffen von der Macht der Musik. Die Welt, in der sie leben und arbeiten, ist immer voll vom Geheimnis, aber es ist ein tröstliches Geheimnis. So, wie das Evangelium von den Hirten erzählt, die in der Christnacht die Engel schauen durften, die den Frieden verkündeten den Menschen, die guten Willens sind, so sind auch Hunzikers Gestalten mit den Engeln vertraut. Zwar sind es nicht die holdseligen Engel eines Fra Angelico, sondern ernste Botschafter des Mysteriums  ̶  heisst doch Angelos «der Bote». Man erzählt von Courbet, er habe gesagt, er könne keinen Engel malen, da er ja nie einen gesehen habe. Max Hunziker hat diese Botschafter geschaut und ihre Mahnungen und Tröstungen verbildlicht.

Trost bietet ihm auch die Natur: die Blütenzweige des Frühlings, die Ährenkränze des Herbstes, eine Rose, ein fliegender Vogel, die sich wie Boten der Hoffnung zum Menschen gesellen. Vor allem aber sind es die vertrauten Dinge des Alltags, die in ihrer greifbaren Realität Sicherheit bieten im gefährdeten Dasein. Vermag Max Hunziker doch das Spiel des Lichtes auf der Oberfläche eines Kruges, den Glanz eines Weinglases, die schimmernde Vielfalt eines Blütenstrausses mit den einfachsten Mitteln auf die farbige Fläche zu bannen.

Es ist wohl unvermeidlich, aber auch traurig, dass das rein technische Wunder der Photographie das Verständnis dafür erschwert hat, warum wir von bildender Kunst sprechen. Jedes Abbilden ist eben hier ein Bilden, eine Schöpfung aus dem Nichts. In seinem schönen Aufsatz «Über die Phantasie in der Malerei» beruft sich der grosse Realist Max Liebermann auf seinen alten Lehrer, der sagte: «Was man nicht aus dem Kopf malen kann, kann man überhaupt nicht malen.» Max Hunziker hat die Konsequenzen gezogen: Er malt immer aus dem Kopf, und so wird ihm jeder Eindruck zum Ausdruck, jedes einfache Abbild zum vielsagenden Sinnbild.

Der Dichter Pierre Walter Müller, dem wir die Einleitung zu dem Bilderband über Max Hunziker verdanken (Verlag Anton Schob, Zürich), hat in einer Reihe von Sonetten von dieser Kunst Hunzikers gehandelt, auch die Dinge zum Sprechen zu bringen:

Wer, so wie du, das Mass des Menschen, Mass des Engels, ehrt,

der liebt die schlichten Dinge, die wie Dienerinnen

sich selbst vergessend, selbstlos ihren Sinn gewinnen –

der liebt den Tisch, der Speise trägt und nichts vom Mahl verzehrt,

den Krug, des einziger Schatz sein aufgetanes Innen,

das willig preisgegeben sich der Fülle nicht verwehrt

und, trinkend, nicht mittrinkt und, voll, so arm, wie wenn entleert

und dann nichts als die Bitte, wieder zu beginnen,

und liebt die Hände, deren Werk sie sind, und ihren Takt,

dem Traum der stummen Stoffe innig nachzuspüren

und, ihn zutiefst erhörend, sie in einem Liebesakt

aus ihrer Ohnmacht hülfreich zur Gestalt zu führen:

Er schaut in ihrem Licht sein eigenes Geheimnis nackt,

den Pakt, in dem Geschöpf und Schöpfer sich berühren…

Es war Max Hunzikers Verhältnis zu den schlichten Dingen des Daseins, das die Erinnerung an Pierre Walter Müllers Sonett wachrief. Vielleicht darf mir nun Rilke helfen, zurück zur Prosa zu finden. Ich denke an einen Absatz seines Vortrages über Rodin, denn, was er da sagt, gilt auch für die Dinge in Max Hunzikers Werk:

DINGE.

Indem ich das ausspreche (hören Sie?), entsteht eine Stille; die Stille, die um die Dinge ist. Alle Bewegung legt sich, wird Kontur, und aus vergangener und künftiger Zeit schliesst sich ein Dauerndes: der Raum, die grosse Beruhigung der zu nichts gedrängten Dinge.

Aber nein: so fühlen Sie die Stille noch nicht, die da entsteht. Das Wort «Dinge» geht an Ihnen vorüber, es bedeutet Ihnen nichts: zu Vieles und zu Gleichgültiges. Und da bin ich froh, dass ich die Kindheit angerufen habe; vielleicht kann sie mir helfen, Ihnen dieses Wort ans Herz zu legen als ein liebes, das mit vielen Erinnerungen zusammenhängt.

Wenn es Ihnen möglich ist, kehren Sie mit einem Teile Ihres entwöhnten und erwachsenen Gefühls zu irgendeinem Ihrer Kinderdinge zurück, mit dem Sie viel umgingen. Gedenken Sie, ob es irgendetwas gab, was Ihnen näher, vertrauter und nötiger war als so ein Ding. Ob nicht alles  ̶ ausser ihm  ̶  imstande war, Ihnen weh oder unrecht zu tun, Sie mit einem Schmerz zu erschrecken oder mit einer Ungewissheit zu verwirren? Wenn Güte unter Ihren ersten Erfahrungen war und Zutrauen und Nichtalleinsein  ̶  verdanken Sie es nicht ihm? War es nicht ein Ding, mit dem Sie zuerst Ihr kleines Herz geteilt haben wie ein Stück Brot, das reichen musste für zwei?

Ich glaube, Rilke hat verstanden, was die Dinge für uns tröstlich macht, tröstlich vor allem, wenn ein Meister ihr Dasein verklärt hat. Sie sind die Zeugen einer Lebensform, die unserem Zigeunerdasein allzu fremd geworden ist. Wir bewahren die Dinge nicht mehr, wir werfen sie weg. Unsere Beziehung zur Wirklichkeit ist in Frage gestellt durch den raschen Verschleiss, der zur Massenerzeugung und zum Massenverbrauch gehört. Man kann und darf diese Entwicklung nicht einfach verdammen, die ja so viel Not gelindert hat. Aber gerade, wer auf den Fortschritt zu hoffen wagt, soll auch hellhörig sein für die seelischen Gefahren, die drohen, wenn es uns nicht gelingt, die Werte der Vergangenheit hinüberzuretten in die erst zu erarbeitende Zukunft. Max Hunzikers inniges Verhältnis zu den Dingen zeigt uns, was verloren gehen kann, wenn überkommene Lebensformen gestört und zerrissen werden.

So darf man es als eine besondere Fügung begrüssen, dass Max Hunziker gerade den Kulturpreis empfangen soll. Bedeutet doch das Wort Kultur so viel wie Pflege. Pflegen kann man nur, was lebt. Was nicht mehr lebt, kann man nur beklagen und begraben. Echte Kultur kennt darum auch keine sterile Rückkehr zur Vergangenheit, noch weniger ein utopisches «Zurück zur Natur». Auch der Krug, sogar der Blumenstrauss, sind ja doch Kulturerrungenschaften. Selbst, was in unseren Ländern als Natur gegenübertritt, ist Kulturlandschaft; die Alpen der Walliser Berge nicht weniger als die Wälder in den Tälern; sie sind alle die Frucht jahrhundertelangen Hegens und Pflegens, gerade jenes stillen Daseins, das die Kunst Max Hunzikers zu feiern versteht. Das Gestrüpp und die Wüste sind trostlos, ob sie nun Dschungel heissen oder Grossstadt, weil menschliche Pflege fehlt.

Wie trostlos wäre es auch, wenn aus unserer Landschaft die ehrwürdigen Zeugen des Glaubens verschwänden, wenn die Glocken schwiegen und die Kirchen eingerissen würden  ̶ eine ganz unvorstellbare Verarmung auch für jene unter uns, die der kirchlichen Überlieferung ferne stehen. Max Hunziker hat die geistliche Bilderwelt mit tiefer Gläubigkeit gepflegt; nicht das einbalsamierte Nazarenertum der Devotionalienhandlung, aber auch nicht die absichtlichen Effekte einer überbetonten Modernität. In seinen Kirchenfenstern leuchten die altüberkommenen Symbole der Taube, des Lammes, des Kelches neben den biblischen Gestalten; aber es sind keine Rebusse, keine dogmatische Bilderfibeln, sondern auch wieder innige Dankgebete für das Mysterium vom Troste.

Ich glaube, Max Hunziker hat Grund, dankbar zu sein. Dankbar für seine hohe Begabung, dankbar auch für den Widerhall, den sein Werk von Jugend auf bei Gleichgesinnten fand: Ich denke da auch an den feinsinnigen Mäzen Georg Reinhart, der seine Arbeiten schätzte und ihm in entscheidenden Jahren tätige Hilfe leistete. Dankbar aber vor allem für die glückliche Wendung, die ihn in Gertrud eine Gefährtin finden liess, deren Liebe und Anteil nicht aus seinem Leben und seinem Werk weggedacht werden kann  ̶  und dankbar auch nicht ganz zuletzt für die Verleihung des Preises für kulturelle Verdienste.

Sie wissen, dass sich eine solche öffentliche Anerkennung eines Künstlers vom Schlage Max Hunzikers durchaus nicht mehr von selbst versteht. Vieles hat sich geändert, seit Friedrich Schiller den Künstlern zurufen konnte:

Der Menschheit Würde ist in eure Hand gegeben!

Bewahret sie!

Sie sinkt mit euch! Mit euch wird sie sich heben!

Ich will gerne gestehen, dass ich selbst als junger Mensch mit diesen Worten nicht viel anzufangen wusste. «Würde»: Das gemahnte an Theatralik, graue Bärte und steifes Benehmen. Das war ja ungefähr die Zeit, als das übermütige Narrenfest des Dadaismus von hier aus Schule machte; und wäre die Würde wirklich nichts weiter als das Imponiergehabe der Mächtigen, so wäre es besser, sie bliebe weiter verpönt. In der Gegenwart des grossen Musikers, der uns heute mit seiner Anwesenheit ehrt, muss ich nicht erst sagen, dass die echte Menschenwürde eben nicht auf Seiten der Macht steht. Gerade das lehrt uns auch der stille Ernst von Max Hunzikers Gestalten, deren Würde aus anderen Tiefen stammt als die zufälligen Privilegien von Klasse, Rasse, Amt und Stand. In einer Zeit der Bedrängnis und inneren Unsicherheit hat Max Hunziker bewiesen, dass der mitempfindende Künstler der Menschheit Würde bewahren kann. Mit ihm und durch ihn wird sie sich heben. Das ist gewiss ein kulturelles Verdienst. Wir danken ihm.                                            Dr. Sir Ernst Gombrich